New Communities: Scholar-led Publishing und Open Access — Aktuelle scholar-led Publishing-Initiativen und Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften (Teil 3)

Dies ist ein re-post eines im Open-Media-Studies-Blog der Zeitschrift für Medienwissenschaft erschienenen dreiteiligen Beitrags.

DOI: https://doi.org/10.59350/h60ft-1y776

 

«[M]ight it not be helpful to think of open access less as a project and model to be implemented, and more as a process of continuous struggle and critical Resistance?» Adema and Hall, 2013

«[I]f we are theorists, if we are radical, critical theorists, then our critique should aim at a transformation of the actual systems within which we work.» Joy, 2017

Der vorliegende Beitrag nahm im ersten Teil eine Einordnung von scholar-led publishing und dessen Situierung im Kontext von Open Access vor. Im zweiten Teil wurde diachron mit Blick auf Journals ausgearbeitet, wie scholar-led Initiativen aus dem Feld der Kultur- und Medienwissenschaften sich schon früh eigene Räume im Digitalen schufen und über diese ihre jeweils individuellen Interpretationen der Grundmotivation realisierten, die auch Open Access zugrunde liegt: der Ermöglichung des freien Zugangs zu Wissen. Im dritten Teil werde ich eine Auswahl an für die Kultur- und Medienwissenschaften relevante scholar-led Buchverlage sowie Kollaborationen, Netzwerke und Infrastrukturinitiativen exemplarisch vorstellen.

Scholar-led Buchverlage in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Einleitend muss konstatiert werden, dass die Anzahl der scholar-led Buchverlage deutlich geringer ausfällt, als dies bei den im zweiten Teil genannten Journal-Communities der Fall ist. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sich der zu investierende Aufwand in der Produktion und Dissemination von Buchpublikationen deutlich komplexer und das dadurch nötige Commitment zum Betrieb eines scholar-led Verlags umso substantieller gestaltet.

Umso relevanter scheint mir daher die Signifikanz der Entwicklungen in diesem Bereich, denn auch hier hat sich eine Vielzahl von Initiativen herausgebildet, die scholar-led, also selbstorganisiert aus der Wissenschaftscommunity heraus, oft mit klarem Fachbezug, unabhängig und nicht profitorientiert wissenschaftliche Buchpublikationen verlegen.

Als ein deutschsprachiger scholar-led Pionier in den Kultur- und Medienwissenschaften kann sicherlich der 1992 gegründete AVINUS Verlag gelten, welcher seit 2004 als Zweckbetrieb dem AVINUS e.V. zugeordnet ist. Auch wenn AVINUS nicht primär als Open Access-Verlag zu verorten ist – den Großteil seiner Publikationen vertreibt der Verlag kommerziell, um entstehende Kosten zu decken – so ist doch herauszustellen, dass der Verlag das Repositorium Medienkulturforschung (RMKF) im Sinne einer dezidierten Open Access-Plattform aufgebaut hat. Das RMKF wiederum wurde jüngst in den Bestand des seit 2017 am Institut für Medienwissenschaft sowie der Universitätsbibliothek der Universität Marburg betriebenen Fachrepositoriums media/rep/ überführt. Zudem sichert der AVINUS Verlag als rechtlich verantwortliche Entität den Betrieb des ffk journal und trägt über beide Kanäle aktiv dazu bei, wissenschaftliche Publikationen dieser Communities frei öffentlich zugänglich zu machen.

Weitere scholar-led Verlage, die sich der Idee von Open Access in einem häufig als radikal (im Sinne von ‚grundsätzlich‘) bezeichneten Verständnis verpflichtet sehen, entstanden in den frühen 2000er Jahren oftmals aus schon bestehenden scholar-led Communities und/oder um einzelne zentrale scholar-led Akteur_innen herum, die die emergenten Möglichkeiten des digitalen Raums zu nutzen wussten und vielfach aktiv selbst weiterentwickelten. Unter anderem ermöglicht durch das Aufkommen erster Print-On-Demand-Dienste sowie frei konfigurierbarer Open Source-Systeme, die scholar-led Verlagen ein schlankes Geschäftsmodell ermöglichten, begannen beispielsweise MayFly Books (2005 aus dem ephemera Journal-Kollektiv heraus entstanden), Open Humanities Press (2006 aus der Culture Machine-Community heraus geformt), re.press (2006) sowie Open Book Publishers (2008) damit, wissenschaftliche Monographien, Sammelwerke und alles, was sich unter dem Format der in den Geistes- und Sozialwissenschaften so wichtigen Langform subsumieren lässt, teilweise mit klarem fachspezifischem Fokus, teilweise auch in einem breiteren Spektrum anzubieten.

Ab 2010 kamen dann AMERICANA ebooks, Éditions science et bien commun, punctum books, Mattering Press, African Minds sowie Counterpress und The Operating System hinzu. 2014 starteten sowohl Roving Eye Press, Language Science Press, als auch meson press, welches als spin-off aus dem Hybrid Publishing Lab des Centre for Digital Cultures (CDC) der Leuphana Universität in Lüneburg ausgegründet wurde.1Siehe hierzu auch das empfehlenswerte von Jussi Parikka geführte Interview mit Mercedes Bunz, Mitbegründerin von meson press. 2016 rief Sarah-Mai Dang, Mitbegründerin des Open-Media-Studies-Blogs, den scholar-led Verlag oa books ins Leben. 2017 formte sich Post Office Press als experimentelles Projekt am Centre for Postdigital Cultures der Coventry University. 2018 publizierte electric.press (aka. Hyperrhiz Electric) ihr erstes Langform-Experiment. 2019 startete Jeff Pooley mediastudies.press und im gleichen Jahr begann auch FlugSchriften mit der Arbeit.

Positionierungen von scholar-led Initiativen

Viele scholar-led Initiativen positionieren sich deutlich als abseits des kommerziell betriebenen Publikationswesens stehend. Zahlreiche Vertreter_innen äußern deutlich und offen ihre Frustration gegenüber sowie grundsätzliche Kritikam bestehenden Publikationssystem. Zahlreiche scholar-led Initiativen haben sich daher zum Ziel gesetzt, alternative, unabhängige Räume zu schaffen, in denen dem konstatierten Mangel an Engagement und Experimentierfreudigkeit mit Theorie und Praxis des Publikationswesens in den Geistes- und Sozialwissenschaften aktiv begegnet werden kann. So wird beispielsweise im Interview mit Kathleen Fitzpatrick deutlich, dass sich scholar-led Initiativen um einiges flexibler in der Realisation experimenteller Ansätze2Für eine Übersicht aktueller experimenteller Buchpublikationspraktiken und dazu geeigneter open source-Plattformen sei hier der im COPIM-Projekt entstandene Scoping Report Books Contain Multitudes: Exploring Experimental Publishing (2022 update) sowie das 2023 daraus hervorgegangene Experimental Publishing Compendium genannt.sehen, als dies über andere etabliertere Kanäle möglich wäre.

Wie Janneke Adema und Graham Stone anhand zahlreicher Interviews mit scholar-led Verlagen herausgearbeitet haben, agieren viele scholar-led Initiativen gemeinnützig und nicht auf Profitmaximierung ausgelegt. So manche Vertreter_innen verstehen sich als Teil eines heterogenen, pluralistischen und auf Nichtrivalität basierenden alternativen Ökosystems der Wissensallmende beziehungsweise Commons.3Für Näheres zum Thema Wissensallmende bzw. Knowledge Commons siehe bspw. das von David Bollier geführte Podcast-Interview mit Sam Moore «The Radical Open Access Collective: Building Better Knowledge Commons», oder weiterführend Adema & Moore 2018 sowie Moore 2019. Dieses Ökosystem ist nicht auf Wettbewerb ausgerichtet und setzt auf horizontale Kollaboration auf Augenhöhe. Zum kollaborativen modus operandi konstatieren Adema und Stone, dass dieser unter scholar-led Verlagen weit verbreitet scheint und auf einem grundlegenden Ethos des offenen und bedingungslosen reziproken Teilens und Schenkens basiert, welches im deutlichen Gegensatz zum geschlossenen, auf Individualbesitz fokussierten Modell des kommerziellen Publizierens steht.

Dieser der Arbeitsweise vieler scholar-led Initiativen zugrundeliegende rege Austausch, der auch die die eigene Arbeit limitierenden Herausforderungen nicht ausspart,4Siehe zu den Herausforderungen von scholar-led Journals beispielsweise aus dem deutschsprachigen Kontext der LIBREAS-Beitrag von Kathrin Ganz, Marcel Wrzesinski und Markus Rauchecker. führt dazu, dass sich zahlreiche scholar-led Netzwerke bilden konnten, auf die ich im Folgenden eingehen möchte.

scholar-led Kollaborationen: Infrastrukturen …

Auch wenn diese im westlich geprägten Diskurs um Open Access oftmals schnell vergessen werden, so bestehen scholar-led Initiativen in einigen Regionen der Welt schon seit längerer Zeit. So existiert beispielsweise in Lateinamerika seit mehr als 40 Jahren eine Tradition des scholar-led publishing. Netzwerke wie das 1967 gegründete Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales (CLACSO), das unter der Schirmherrschaft von CLACSO 2006 gegründete Redalyc sowie AmeliCA und ScIELO zählen zu den großen lateinamerikanischen Initiativen, die quer über die Geistes- und Sozialwissenschaften Wissenschaftskommunikation nach nicht profitorientierten Modellen realisieren. Zudem sei hier auch Ariadna Ediciones zu nennen, das als scholar-led Initiative seit 2004 sowohl Bücher, Journals, als auch einzelne Artikel publiziert.

In Frankreich wurde 1999 revues.org als zentrales Publikationsforum für die Geistes- und Sozialwissenschaften aus der Taufe gehoben. Die auf der open source-Software Lodel basierende und 2017 in OpenEdition umbenannte Plattform bietet zahlreichen Publikationsinitiativen aus dem französischen und europäischen Raum eine zentrale technische Basis zum Betrieb von digitalen Journals. Ähnliche Plattformen mit nationaler Reichweite wurden seitdem auch in Nordamerika (schon 1998), Finnland, den Niederlanden, Kroatien und Dänemark etabliert. Allerdings muss angemerkt werden, dass diese Initiativen, obwohl unbestritten wichtig als Basisinfrastrukturen für nichtkommerziellen Open Access, nicht unter die engere Lesart von scholar-led publishing fallen, da sie primär durch Infrastrukturanbieter-Konsortien betrieben werden.

Während revues.org und ähnliche Initiativen als zentralisierte Angebote konzipiert wurden, ist eine weitere scholar-led Infrastruktur-Entwicklung genau umgekehrt auf Dezentralität ausgelegt: 1998 startete John Willinsky in Kanada das Public Knowledge Project (PKP) im Department of Language and Literacy Education an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der University of British Columbia, um not-for-profit open source Software für offenes, digitales Publishing zu entwickeln. Drei Jahre später, 2001, erblickte das Open Journal System (OJS) des PKP das Licht der Welt – und veränderte damit die Publikationslandschaft nachhaltig: der Vorteil von OJS gegenüber zentralen Angeboten wie revues.org besteht darin, dass Communities jeder Größe – von nationalen Plattformen bis zum kleinen Einzelprojekt – eigene OJS-Instanzen betreiben und nach den eigenen Bedürfnissen modifizieren können, vorausgesetzt sie verfügen über die technischen Grundkenntnisse, entsprechende Anpassungen am selbstgehosteten Grundsystem vorzunehmen. Gemeinsam mit dem PKP verkörpert Willinsky, wie Gary Hall schreibt, eine Vision von «open access as helping, in a democratic manner, to produce a form of global information commons and revitalized public sphere.»5Gary Hall: Digitize This Book! : The Politics of New Media, or Why We Need Open Access Now, Minneapolis 2008. S. 196.

In Großbritannien wurden 2003 Überlegungen zu einem «ArXiV für die Cultural Studies» angeschoben, welches im Kontext des Journals CultureMachine unter dem Titel Cultural Studies e-archive (CSeARCH) ins Leben gerufen wurde.

2009 wurde unter Verwendung des populären open source-Blogging CMS WordPress an der City University of New York (CUNY) damit begonnen, das CUNY Academic Commons-Netzwerk zu etablieren, welches 2011 als Commons in a Box der breiten Öffentlichkeit zur selbstorganisierten Weiternutzung bereit gestellt wurde und seitdem auch zahlreichen anderen Communities wie bspw. Humanities Commons als offene technische Plattform dient. Ebenso im Jahr 2011 nahm Lantern, die Suchplattform der Media History Digital Library (MHDL), den Betrieb auf. MHDL wiederum ist eine am Wisconsin Center for Film and Theater Research beheimatete scholar-led Initiative, die historische Bücher und Periodika aus dem Film-, Fernseh- und Rundfunkbereich im Sinne von public domain offen zugänglich stellt.

scholar-led Kollaborationen: … sowie Netzwerke & Kollektive

An der Hogeschool van Amsterdam wurde 2004 das Institute of Network Cultures (INC) gegründet, das seitdem auch als scholar-led Publisher auftritt. Im selben Jahr nahm in den USA die BABEL working group die Arbeit auf. Zeitgleich begann das Institute of the Future of the Book mit der Arbeit – alle drei Initiativen waren seitdem an zahlreichen für die Geistes- und Sozialwissenschaften relevanten Kollaborationen wie bspw. das durch Avi Santo und Kathleen Fitzpatrick 2006 gestarteten und bis heute insbesondere für die Medienwissenschaften relevante MediaCommons-Projekts und -Netzwerks beteiligt.

Ebenfalls 2004 startete Flow als ein Online-Forum für medien- und Kulturwissenschaften.

2012 startete an der University of Sussex die Initiative REFRAME und bietet seitdem über ihre Open Access-Plattform eine Vielzahl an für die Kultur- und Medienwissenschaften relevanten Communities und Diskursformaten, die von einer Auswahl an Journals über Buchpublikationen bis hin zu zahlreichen Blogs und Projektwebseiten reichen.

2013 nahm die offene Journal-Plattform Open Library of Humanities (OLH) den Betrieb auf und bietet seitdem zahlreichen geisteswissenschaftlichen Journals sowohl eine technische Basis als auch eine Geschäftsmodell-Alternative zur sonst weithin bestehenden Autor_innen-finanzierten Realisierung: in der OLH werden Betriebskosten über ein Konsortialmodell durch von Universitätsbibliotheken erhobene Mitgliedschaftsbeiträge gedeckt. Im Kontext der OLH wird zudem das open source Journal-System Janeway entwickelt, welches sich seitdem als interessante open source-Alternative neben OJS etabliert.

2015 wurde im Kontext des an der Coventry University angesiedelten Centre for Disruptive Media (heute Centre for Postdigital Cultures) und der dort ausgerichteten Radical Open Access Conference das Radical Open Access Collective (ROAC) gegründet. Das ROAC versteht sich als kollektive Interessensvertretung von not-for-profit scholar-led Verlagen und Initiativen. Mitglieder des ROAC teilen eine Philosophie der gemeinschaftlichen Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen nach der Ausgestaltung eines alternativen Publikationssystems von und für Wissenschaffende.

2016 startete das Webportal Open Access in Media Studies und bietet seitdem – durch im Forschungsfeld tätige Bibliothekar_innen und Wissenschaffende kuratiert und die Tradition von Film Studies For Free (von 2008-2019 durch Catherine Grant geführt) oder filmwissenschaft.umsonst (durch Dietmar Kammerer bis 2018 betrieben) fortführend – zahlreiche Informationen zu Open Access-Möglichkeiten für die Kultur- und Medienwissenschaften.

Im Jahr 2018 formte sich das intersektionale feministische publishing collective Reanimate, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Geschichte der Kultur- und Medienwissenschaften durch Einbindung von bisher wenig einbezogenen Stimmen und Perspektiven neu zu beleben. Im selben Jahr, 2018, schlossen sich fünf non-profit scholar-led Buchverlage6Gründungsmitglieder von ScholarLed waren Mattering Press, meson press, Open Book Publishers, punctum books, und Open Humanities Press. In 2021 kamen African Minds und mediastudies.press hinzu. zum gemeinnützigen ScholarLed-Konsortium zusammen. ScholarLed arbeitet gemeinsam daran, eine alternative Vision eines kollaborativ skalierenden Systems des Wissens- und Ressourcenaustauschs im Rahme gemeinschaftlich entwickelter Infrastrukturen zu etablieren.

Zu diesem Zweck hat das ScholarLed-Konsortium sich gemeinsam mit zahlreichen Forschenden, Universitätsbibliotheken und OA-Infrastrukturanbietern aus Europa, Großbritannien und den USA zusammengefunden, um im Ende 2019 gestarteten und über mehr als drei Jahre geförderten Community-Led Open Publication Infrastructures for Monographs (COPIM)-Projekt an den größten Herausforderungen zu arbeiten, denen sich kleine, unabhängige scholar-led Open Access-Buchverlage gegenüber sehen: Ziel des Projekts ist es, durch die gemeinschaftliche Entwicklung von offenen Prozessen, Infrastrukturen und einer dahinter stehenden Community alternative Modelle zur Governance, Finanzierung, Experimentation, Dissemination sowie Langzeitarchivierung von Open Access-Büchern insbesondere für kleine und mittlere OA-Initiativen zu entwickeln. Damit möchte das Projekt einer Etablierung eines alternativen, nachhaltigen, nicht profitorientierten, kollaborativen Ökosystems für Open Access-Buchpublikationen in den Geistes- und Sozialwissenschaften einige Schritte näher kommen.7Siehe dazu auch https://copim.pubpub.org sowie die Übersichtspräsentationen Open Access-Bücher, und eine kurze Einführung zu COPIM und Making Open Access Books Work Fairly: establishing collaboration between libraries, publishers, and infrastructure providers. Ein zentraler Bestandteil dieser gemeinschaftlich entwickelten Strategie stellt das Open Book Collective dar: das Kollektiv lädt insbesondere kleine und mittelgroße Initiativen zum Mitwirken ein und bietet über eine in der zweiten Jahreshälfte 2022 gestartete not-for-profit Plattform die Möglichkeit, konsortiale Mitgliedschaftsmodelle sowohl für einzelne Initiativen als auch für Kollektive gemeinschaftlich zu bewerben. Universitätsbibliotheken wiederum haben die Möglichkeit, über die Plattform Open Access-Initiativen oder Kollektive über ein konsortiales Mitgliedschaftsmodell zu unterstützen. Zudem werden Bibliotheken explizit dazu eingeladen, sich aktiv in die zukünftige Ausgestaltung des Open Book Collective – beispielsweise durch Teilhabe in der Governance der Community – einzubringen.

Seit 2019 existiert ein dediziert den Kultur- und Medienwissenschaften gewidmetes fachspezifisches und am ArXiV-Vorbild angelehntes scholar-led Preprint-Angebot namens MediArXiv. Und speziell mit scholar-led Initiativen im deutschsprachigen Raum im Blick formte sich im Jahr 2021 das scholar-led.network als ein Zusammenschluss an Open-Access-Akteur:innen im Kontext des Projektes open-access.network.

Fazit

Ich hoffe, mit den drei Teilen dieses Beitrags mittels der Vielfalt der vorgestellten Initiativen, Projekte, Netzwerke und Kollektive exemplarisch aufgezeigt zu haben, wie scholar-led Communities seit den 1970er Jahren aktiv daran mitwirken, in den Geistes- und Sozialwissenschaften eine Öffnung des Zugangs zur Wissenschaft Realität werden zu lassen – und damit eine essentielle, wenn auch bisher insbesondere im breiten Open Access-Diskurs bei Weitem nicht ausreichend gewürdigte Rolle spielen.

Zudem ist die Rolle deutlich herauszustellen, die einzelne Personen und durch aktiven Austausch geformte Netzwerk-Kollektive in der Bildung der hier genannten Communities spielten: oftmals werden in scholar-led Projekten und Initiativen nicht mehr als ein oder zwei Kern-Akteur_innen initial in einem bestimmten Bereich tätig und sorgen durch kontinuierliche, oftmals aufwendige und zumeist unentgeltliche, in der Freizeit bzw. neben dem Hauptberuf stattfindende Netzwerk- und Redaktionsarbeit dafür, dass sich Projekte langsam etablieren, Publikationskanäle kontinuierlich betrieben und Ideen weiterentwickelt werden können. Oftmals formen sich daraus dann auch organisch weitere Communities und scholar-led Projekte.

Erfreulicherweise sind erste Schritte einer Anerkennung langsam auch auf der großen Policy-Ebene zu erkennen, so widmeten sich beispielsweise Coalition S und Science Europe mit der 2021 veröffentlichten und seither vielbeachteten OA Diamond Journals Study dem Feld der non-profit Journals, die keine auf Autor_innen-fokussierende Gebühren erheben. Die als Teil der Studie durchgeführte Journal-Erhebung kam auf eine geschätzte Zahl zwischen 17.000 und 29.000 Diamond OA Journals. Der Anteil der darunter subsumierten scholar-led Journals wurde nicht näher beleuchtet – unter anderem aufgrund der im Journal-Bereich mittlerweile relativ geringen technischen Hürden kann jedoch angenommen werden, dass dieser Anteil nicht unerheblich sein dürfte. Aus Sicht von scholar-led Initiativen und deren Akteur_innen und Communities sind die ersten Schritte in Richtung potentieller Unterstützung, die mittels der der Studie beigefügten Empfehlungen signalisiert werden, durchaus begrüßenswert. Allerdings schwingt hier sicherlich auch eine gewisse Skepsis mit, da Angebote wie das in den Empfehlungen genannte «Diamond Publishing Capacity Center» einerseits durchaus hilfreiche Unterstützung bieten könnte, andererseits jedoch eben Zentralisierungsbewegungen wie diese potentiell das Unabhängigkeitsstreben und die daraus resultierende publikationskulturelle Diversität, welche gerade für scholar-led Communities eine wichtige Rolle spielt, gefährden könnte.

Wie Pierre Mounier schon 2013 schrieb: «It is true that the debate on open access to research results […] was focused until now not on humanities monographs, but rather on journals, and firstly in science.» Auch im Jahr 2022 scheint sich hier die Geschichte zu wiederholen, wir sehen ähnliche Tendenzen der Fokussierung auf Journals mit dem Diamond OA Report und dem dazugehörigen Action Plan. Und auch die fortwährenden Diskussionen um Open Access-Farbenlehre à la Gold, Green, Platinum/Diamond, etc. pp. fokussieren zum 20-jährigen Bestehen der BOAI weiterhin primär auf den Journal-Bereich, während die große Vielfalt insbesondere der in den Geistes- und Sozialwissenschaften auch jenseits von Journals stattfindenden Wissenschaftskommunikation – angefangen von Buchpublikationen einschließlich Sammelbänden und Open Textbooks / Open Educational Resources (OER) über Forschungsnetzwerke und deren digitale Plattformen bis hin zum vielfältigen Universum von Blogs, Podcasts, etc. – in welcher scholar-led Communities einen wichtigen Teil spielen, weiterhin kaum Beachtung findet. Speziell für den Buchbereich scheinen hier Strategien wie beispielsweise der aus einer scholar-led Community heraus entwickelte vernetzte Ansatz des Scaling Small, der aktuell mit COPIM und dem Open Book Collective realisiert wird, sicherlich als eine vielversprechende Alternative.

Zudem möchte ich abschließend auch nochmal hervorheben, dass ‹Öffnung› für scholar-led Initiativen oftmals weit mehr als die bloße Verfügbarmachung wissenschaftlichen Outputs im Sinne von ‹klassischem› Open Access bedeutet: vielmehr werden in den Communities vielfach anhand kontinuierlich praktizierter kritisch-konstruktiver Selbstreflexion eigener Theorie und Praxis wichtige Fragen darüber neu verhandelt, auf welche Art und Weise wir Wissenschaftskommunikation im digitalen Raum betreiben wollen. Oder, wie Gary Hall schreibt: «How do you apply your theoretical principles to the structures that make your work visible?» Der daraus resultierende von Janneke Adema und Gary Hall beschriebene «continuous struggle and critical Resistance», also die kontinuierliche Aushandlung der eigenen Positionierung gegenüber hegemonialen Auslegungen von Open Access, der vielen der hier vorgestellten scholar-led Initiativen als Kernmotivation dient, ist meines Erachtens ein höchst wichtiger Aspekt und Grundpfeiler des Strebens nach Offenheit in Wissenschaft und Forschung, der bisher im breiten Diskurs zu Open Access leider gerne zugunsten technik- oder policy-fokussierter Partikulardebatten vergessen wird. Gerade aus diesem Grund verdienen scholar-led Projekte, Initiativen und Communities – sowie insbesondere die sie konstituierenden Akteur_innen – die Anerkennung sowie Unterstützung seitens aller im Wissenschaftssystem tätigen Personen und Institutionen.

 


Eine erweiterte Auswahl von für die drei Teile dieses Beitrags relevanter Literatur ist in der offenen Zotero-Collection “scholar-led publishing” verfügbar.

Header image: “My Life Through A Lens” auf Unsplash.

CC BY 4.0 New Communities: Scholar-led Publishing und Open Access — Aktuelle scholar-led Publishing-Initiativen und Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften (Teil 3) by Tobias Steiner is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License.